Auch wir als Krankenkassen und Verbände sollten unsere eigene Rolle stärker hinterfragen. Mit diesem Impuls regte Vorstand Dirk Janssen die Mitglieder des Hauptausschusses dazu an, in den bevorstehenden drei Sessions gerne über den Tellerrand hinaus zu denken. Neben einer stärkeren Versichertenorientierung müsse deutlich werden, Krankenkassen sind Mitgestalter und nicht nur Geldverwalter. Für die künftige Ausschöpfung von Chancen der Digitalisierung sei es zudem notwendig, die Kontroverse „Menschenschutz vor Datenschutz“ endlich zielführend aufzulösen.

Stephanie Bosch, Leitung Politik und Kommunikation beim BKK Dachverband, warf einen Blick auf die Versorgung der Zukunft. Unter der Fragestellung  „qualitativ hochwertig und finanzierbar?“ stellte sie gesundheits- und versorgungspolitische Herausforderungen der Krankenkassen in den nächsten Jahren und Lösungsvorschläge der Betriebskrankenkassen vor.

In den Impulsen vor den eigentlichen Sessions forderten die verantwortlichen Leitungen Selina Böhle, Stephan Koberg und Dirk Schleert dazu auf, ein Lösungspaket zu schnüren und Steuerungselemente für Patientenpfade einzuziehen. Patientensteuerung sei immer von Interessen geleitet – in den vergangenen 50 Jahren durch die Ärzte. Der Vergleich von Patient-Arzt-Kontakten in Deutschland und Skandinavien zeige frappierende Unterschiede, die ein Umdenken erfordern. Deutsche Arztpraxen kommen durchschnittlich auf 10 Besuche im Jahr pro Patient. Demgegenüber stehen nur 3 Patientenkontakte jährlich in skandinavischen Ländern.

Tenor: Wir werden den Menschen auch etwas zumuten müssen, wenn Versorgung zum Besseren verändert werden soll. Ziel muss es sein, die Eigenverantwortung der Menschen zu stärken. Das hat zwar nicht unmittelbar mit Steuerung zu tun, macht den Menschen aber bewusst, was Versorgung bedeutet und wie sie selbst zu einer gesünderen Lebensweise beitragen können.

Der von Stephan Koberg moderierte Workshop beschäftigte sich mit der Fragestellung, wie wir unser Gesundheitssystem – auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten von Digitalisierung – langfristig auf solide Beine stellen können, ohne dass die Versicherten und Arbeitgeber über Gebühr zu belasten.  

Ein wesentlicher Aspekt war die sinnvoll gestaltete Arbeit von Fachkräften im Gesundheitswesen, um die Versorgung unter Berücksichtigung von immer knapper werdenden Personalressourcen zu verbessern.

Für die Teilnehmer stand die Auseinandersetzung einer besseren Versorgungssteuerung im Vordergrund. Ziel müsse es sein, gleichzeitig Effizienzreserven zu heben. Als wesentlicher Faktor dabei wurde die Patientensteuerung ausgemacht. Die Vorstellungen dazu reichten von sehr rigoros bis moderat. In jedem Fall müssen wir hier etwas verändern und verbessern. Die Vorschläge reichten von einer Primärarztversorgung (Hausarzt als Lotse in die fachärztliche Versorgung) bis hin zu dem Ansatz, dass gute Versorgung nicht zwingend an bestimmte Einrichtungen gebunden sein muss.

Patientensteuerung muss so vernünftig kanalisiert werden, dass die Vergütungssystematik weg von vielen Patientenkontakten der Ärzte gelenkt wird. Ärzte können für gute Versorgung honoriert werden und nicht für viele Fälle.

Viel Platz nahm die Diskussion um die ePA ein. Vorschlag: Jeder Leistungserbringer hat Zugriff im Sinne der Versorgung. Jeder muss alles sehen können. Wobei zwischen Nutzen und ethischer Dimension abgewogen werden muss. Weitere Stichworte: BAG, Aufweichen der doppelten Facharztschiene, Stärkung der Telemedizin (Bsp. Telemedizinisches Diagnosewägelchen in Pflegeheimen), Verordnungen grundsätzlich auch durch nichtärztliches Personal ermöglichen. Dies alles erspart Wege und reduziert Kosten.

Selina Böhle stellte die Frage, welche innovativen Ansätze wir entwickeln können, um Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken. Die Teilnehmer diskutierten insbesondere die Rolle intersektoraler Kooperationen bei der Schaffung eines nachhaltigeren Gesundheitssystems, etwa zwischen Gesundheitswesen, Bildung und Sozialdiensten.

Für den Sektor Bildung gilt, Prävention bereits in Kitas und in Schulen zu behandeln, z. B. durch Ernährungskurse und ein Unterrichtsfach „Gesundes Leben“. Ebenso wichtig die Ausweitung des Sportangebotes, um Zugang zur Selbstertüchtigung zu ermöglichen.

Ein weiteres großes Thema war Prävention und Sport im Betrieb. Hier soll das Angebot ebenfalls gesteigert werden. Arbeitgeber, die bereits viel leisten, sollen über Bonussysteme belohnt werden. Finanzielle Anreize oder Boni über verminderte Zusatzbeiträge wurden vorgeschlagen. Auch schnellere Facharzttermine für Versicherte, die Präventionsangebote annehmen, landeten im Ideenpool.

Weitere Aspekte:

  • Regulatorik bei Ernährung, etwa über Zuckersteuer oder Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel
  • Präventionsangebote entwirren. Hier muss die Kasse gezielter auf die Patienten zugehen können und anhand von Analysedaten die Versicherten gezielter beraten (Stichwort maßgeschneiderter Präventionsplan).
  • Transparenz im Quartier schaffen, dazu Kommunen einbinden.

Dirk Schleert konfrontierte die Runde mit der künftigen Rolle der gesetzlichen Krankenkassen im System. Wie können wir die Patientenbegleitung und –autonomie fördern, um die Effizienz und Zufriedenheit im Gesundheitswesen zu erhöhen?

Zunächst aber wurde der Widerspruch Patientenautonomie vs. Effizienz formuliert. Wenn wir Patienten machen lassen, was sie wollen, ist unser Gesundheitswesen bald pleite.

Umso wichtiger ist es für Krankenkassen als Kümmerer wahrgenommen zu werden und nicht als Durchlauferhitzer für das Geld. Wir müssen zu einer aktiven Rolle finden, so der Tenor des Workshops. Ein möglicher Ansatz führt über die Daten, wenn wir die ePA nutzbringend einsetzen und den Patienten beraten können. Einhellige Forderung war es, den Gesetzgeber dazu zu bringen, das auch zu dürfen.

Um als Ansprechpartner wahrgenommen zu werden, braucht es auch ungewöhnliche Aktionen. Das Resümee der drei Workshops war klar: Die Krankenkassen müssen eine wichtige und aktive Adresse für die Versichertengemeinschaft werden. Dieser Imagewechsel muss gelingen, hin zu einem zuverlässigen Lobbyisten der Versicherten.